»Cage« eine Rauminstallation von Lydia Koch, 1998

von Joanna Barck M.A.

Materialien: Baumwoll- und Leinenstoffe, Pigment/Pigmentwasser, Kleister, Maschendraht, Feuermelder, Holz, Walkman, Glas

Ein durch einen Pfeiler in der Mitte geteilter Raum, auf diese Weise gedoppelt, ist der Ort und Gegenstand einer künstlerischen Arbeit von Lydia Koch. Die Rauminstallation »Cage« ist ein Käfig, der auf den ersten Blick keine assoziative Verbindung zum realen Gegenstand oder seiner Funktion zulässt. Die Künstlerin verzichtet gänzlich auf klassische Vergleichsmomente wie Gitter, Stäbe oder auch allgemeine Beengungsmotive. Was sich dem Betrachter zunächst eröffnet, ist ein länglicher, in der Ausgestaltung reduzierter Raum, dessen Wände, Mauervorsprünge, Pfeiler sowie Boden und Decke von sich in der Mitte kreuzenden Stoffbahnen markiert sind. Die Farbgebung irritiert, denn es ist ein »Käfig«, in dem die Farbe Blassrosa bis Hellrot dominiert. Die einzigen den Raum beherrschenden Objekte sind ein an einer Metallkette angebrachter Walkman im vorderen Raumabschnitt – versteckt in einem Futteral aus rosa Leinen – im hinteren Bereich eine figurative, mumienähnliche Plastik, die an den Füßen von der Decke herunter hängt. Der Kopf weist auf den Schnittpunkt der Stoffbahnen auf dem Boden. Die in rosa Leinenstreifen einbandagierte, beengte Figur, deren Beine Spitz zusammenlaufen, verlässt bereits die natürliche Körperform und gibt assoziative Bereiche frei. Die Farbgebung unterstreicht die Drastik der Darstellung und verunsichert gleichzeitig. Rohes Fleisch, ein aufgeschnittener, am Metzgerhaken hängender Ochse etwa, aber auch Gegensätzliches drängen sich auf: Pendel, Ausgleichs- und Ruhepunkt können mit der kopfüber hängenden Figur in Verbindung gebracht werden.

Der anfänglich karge Raum gibt Objekte frei, begibt man sich in dessen Mitte. Die Isolierung bietet der Kopfhörer des Walkmans, aus denen Kompositionen von John Cage zu hören sind. Von hier aus eröffnen sich dem Betrachter weitere Objekte der Installation. An der rechten Schmalseite sind insgesamt sechzehn viereckige »Kissen« unterschiedlicher Struktur angebracht: vor gewölbte Leinwandvierecke, pigmentiert in Rosa bis Rot, Pigmentflächen verschiedener Rotfärbungen hinter Glas und einer Arbeit bestehend aus einem Leinwandviereck eingedellt, mit wattierten Rändern und einer kleinen, einbandagierten, weiblichen Figur – einem Pendant zu der großen Raumfigur. Die »Kissenwand« greift spielerisch biographische Elemente auf, legt sie dem Blick des Betrachters frei, ohne ihren persönlichen Sinn aufzudecken.

Obwohl weder der architektonische noch der künstlerische Raumaufbau eine Verjüngung simuliert, wird im hinteren Bereich dennoch eine thematische Verdichtung spürbar. Wie ein Endpunkt der Bewegung der Stoffbahnen, erscheint ein kleiner tiefroter Feuermelder, angebracht im Schnittpunkt der rosa geschlämmten Leinenstreifen an der hinteren Wand. Die Vergitterungen geben den Blick frei auf einen kleinen, abgeschlossenen »Raum«: der Boden mit feinem, weißen Sand bedeckt, ein Stück Strandholz darüber hängend. Der Feuermelder als Kulmination der Installation, ein Käfig im Käfig, der eine begehbar, der andere verschlossen. Er verharrt im Zustand der Möglichkeit, gibt keine Auflösung. Das Holzstück als möglicher Schlüssel ist sichtbar, doch der Zugriff darauf bleibt verwehrt. Was er anbietet, ist ein Ausblick, ein Blick auf einen Horizont der Möglichkeiten.

Die Komplexität der Rauminstallation erschließt sich erst durch die Begehung, zu der die raumgreifenden Stoffbahnen stimulieren. Texte von Ingeborg Bachmann*, symbolhafte Zeichnungen entlang der Wandbahnen, die an Höhlenmalerei oder Kinderzeichnungen erinnern – ausdrucksstark in ihrer Flüchtigkeit – dazwischen Abzählstriche: Erinnerungen an Gefangenschaft oder Symbole für gezählte Hoffnungen?

Musik hat für die Künstlerin immer einen großen Einfluss auf den Entstehungsprozess der Werke gehabt. Ihre Anbindung an das Gesamtwerk fällt unterschiedlich aus: mal in der unausweichlichen Stärke eines Lautsprechers, dann wieder, wie bei dieser Arbeit, zurückgenommen in der Stille des Kopfhörers. In beiden Fällen aber verliert die Musik den persönlichen Kontext des Entstehungsprozesses, in dem sie anfänglich stand, sobald sie in die Arbeit eingebunden wird.

Die Erarbeitung eines Kunstobjekts oder einer Installation entwickelt die Künstlerin Lydia Koch stark anhand eines feststehenden Konzeptes. Doch hierin erschöpft sich ihre künstlerische Arbeit nicht. Es ist vielmehr die Verquickung von konzeptionellem Ansatz und emotionaler Ausführung, die das Schaffen von L. Koch kennzeichnet.

Ein besonderes Beispiel für diese Arbeitsweise bietet die Installation »Cage«. Das Konzept entspricht dem äußeren Gerüst der Wände – der Reduktion. Die Ausfüllung des Raumes (des Konzepts) mit persönlich-emotionalen Motiven bedeutet hier einen Einschreibeprozess. Denn erst das Be-Zeichnen und Beschriften der Wände und Stoffbahnen lässt den Raum Geschichten erzählen. Die emotionale Komponente bleibt nur im Detail angelegt und der Dekodierungsfähigkeit des Betrachters überlassen.

*»...meine Tagrätsel sind größer als meine Traumrätsel« / »Man meint nicht mit dem Anfang, aber zuletzt weiß man: im Anfang« / »...dass sie, um zu leben das Leben, das Gefängnis hätten zerstören müssen« / »ich bin zu meinen eigenen Träumen gekommen...«.